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darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 13. August 2009 Redaktion: Peter Kirsten Eingriffe in unser Gehirn
Die ethische Dimension der Neurowissenschaften
Musik, "Teaser"-O-Töne darauf, dazwischen ganz kurz Musik hoch
O-Ton 1: Woopen (0'08") Das Gehirn des Menschen ist im Vergleich zu den anderen Organen ein besonderes Organ, weil es wie kein anderes für das steht, was das spezifische Menschliche ausmacht. O-Ton: 2:
Langsam, noch nicht ganz schnell, werden mentale Eigenschaften des Menschen technologisch verfügbar, um unseren Geist zu beeinflussen. Technische Kontrolle geistiger Eigenschaften als solches ist noch nichts Böses oder ethisch Verwerfliches, es kommt auf den gesellschaftlichen Kontext an und auf die Norm, die man überhaupt im Hintergrund hat. O-Ton 3: Daele (0'08") Es gibt keine Instanz die das, was wir können, kontrollieren kann. Das heißt, wir müssen immer hinterherlaufen und das regulieren, was wir wollen. Regie: Musik, kurz hoch, dann Zit. darauf
Zit.: Neues Wissen – zwiespältige Folgen – mehr Verantwortung Regie:
Während die Wissenschaft nach Jahrhunderten des ehrfürchtigen Staunens das Herz als bloßen, sogar austauschbaren Muskel entmystifizierte, blieb das Gehirn ein großes unerforschliches
Geheimnis, erzählte die Tübinger Neuropsychiaterin Barbara Wild bei der Jahrestagung 2009 des Deutschen Ethikrates:
O-Ton 4: Wild (0'26") Bis in die siebziger Jahre konnte man Aufschlüsse über die Funktion des menschlichen Gehirns gewinnen, in dem man neurologische Patienten nach ihrem Tod untersuchte und: Man eröffnet den Schädel und dann hat man diese braun-graue, glibberige, seltsam geformte Masse vor sich. Sich vorzustellen, dass da so etwas wie Liebe entsteht, ist wirklich nicht einfach. Spr.:
Inzwischen aber ist die Hirnforschung zu einem boomenden Wissenschaftszweig
"bildgebende Verfahren" mit immer präziseren Geräten, vor allem die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie, abgekürzt fMRT.
Professor Ludger Honnefelder, Theologe und Philosoph an der Berliner Humboldt-Universität:
O-Ton 5: Honnefelder (0'38") Nachdem die Forschung dem Interesse am menschlichen Gehirn lange Zeit nur weitgehend indirekt hat nachkommen können, hat die moderne Biotechnologie die Lage grundlegend geändert. Nicht nur sind detaillierter Einsichten in Strukturen und Funktionen des menschlichen Gehirns, sondern auch gezielte Eingriffe in dessen Prozesse und Zustände möglich geworden, und dies in einer Weise, deren Grenzen noch nicht absehbar sind. Jede Zunahme der biomedizinischen Einsichts- und Eingriffsmöglichkeiten lässt zugleich das Spektrum und damit die Ambivalenz der Anwendungsmöglichkeiten wachsen. Spr.:
Bald könne man "dem Menschen beim Denken und Fühlen zuschauen" und das Bewusstsein verstehen, begeisterte sich Antonio Damasio, Neurologe von der University of Iowa und einer der Pioniere der Neurowissenschaften.
Zunächst aber sind durch den Wissenszuwachs therapeutische Eingriffe ins Gehirn möglich geworden, die neurologische Krankheiten mindestens lindern können, und auch Medikamente gegen zum Teil schwerste psychische Erkrankungen wurden und werden weiterentwickelt. Allerdings putschen damit inzwischen auch Gesunde ihre kognitiven und emotionalen Fähigkeiten auf.
Deshalb wachsen – auch in Fachkreisen – die Befürchtungen, dass die Eingriffsmöglichkeiten ins Gehirn unkontrollierbare Konsequenzen haben. Kann, wer mittels Computer "in den Kopf" schaut, auch den Menschen von außen steuern? Professor John-Dylan Haynes beschäftigt sich am Max-Planck-Institut für Kognitions- und
Neurowissenschaften in Leipzig wissenschaftlich mit Gedankenlesen, englisch: "Brain Reading".
O-Ton 6: Haynes (0'27") Dieses Brain Reading impliziert natürlich ein bisschen, dass man im Gehirn lesen könnte wie in einem Buch, das ist natürlich falsch; wenn Sie jetzt 'mal an Anwendungen denken: Die Situation war ungefähr im Jahr 2005, da riefen irgendwelche Radiojournalisten aus den USA an, "können wir jetzt erkennen, ob jemand vorhat, das Flugzeug in die Luft zu sprengen", und ist ja auch eine richtige Frage, also vielleicht könnten wir uns die Sicherheitsprozeduren sparen, wenn so was möglich wäre, ist aber im Moment nicht möglich, aber die Frage ist: Können wir die Absichten einer Person auslesen. Spr.:
Auch wenn es noch keine Vorhersage von Handlungen etwa mittels Lügendetektor am Flughafen gibt: Schon heute, so Haynes vor dem Ethikrat, kann man durchaus Vorgänge direkt aus dem Gehirn erkennen.
Dazu zählen Aufmerksamkeitsprozesse, Gefühle, Erinnerungen kann man auslesen, das sind alles Aspekte, die zeigen, dass wir eine Vielfalt unserer mentalen Zustände aus der Hirnaktivität decodieren können. Spr.:
Deutlich wird, dass es im Moment erst einmal um das Verstehen der Vorgänge im Gehirn geht. Doch wie weit ist es von da zur Manipulation von Gedanken und Gefühlen?
Phantasien, Individuen nach Belieben steuern zu können, gibt es schon lange, in der Literatur ebenso wie bei undemokratischen Regierungen. Als "Verbesserung des Menschen" wird diese Absicht mitunter verkauft, über die auch einige Wissenschaftler schon früher nachgedacht haben. Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik haben dazu erste Möglichkeiten eröffnet – im Guten wie im Schlechten.
Ungute Gefühle begleiteten auch schon die ersten Eingriffe ins Herz, lange fälschlicherweise als "Sitz der Seele" angesehen. Doch nun geht es tatsächlich um das "spezifisch Menschliche", das Gehirn. Für Fortschrittsoptimisten ist auch das nicht unantastbar. Der Augsburger Medizinrechtler
Argumentation, ohne sie unbedingt teilen zu wollen.
Stellen wir uns vor, die Affen hätten vor sechs Millionen Jahren beschlossen, eine Optimierung des Gehirns nicht zuzulassen, weil damit in die Unverletzlichkeit der Spezies Affen eingegriffen werde, so säßen wir heute noch auf den Bäumen. Spr.:
So einfach mag es sich Dr. Christiane Woopen, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, nicht machen. Sie plädiert dafür, die Neurowissenschaften mit eine breiten ethischen Debatte zu begleiten und hat dazu die Tagung im Sommer 2009 konzipiert.
O-Ton 9: Woopen (0'33") Egal, ob es sich um die Anwendung moderner bildgebender Verfahren als Lügendetektoren in Gerichtsprozessen, um die Verwendung von Psychopharmaka zur Verbesserung von Leistung und Stimmung bei Gesunden oder um die Erforschung der Tiefenhirnstimulation an psychiatrisch erkrankten Patienten handelt – die Grenzen der Methodik, der jeweilige Nutzen und die möglichen Risiken für den einzelnen, sowie Fragen der Selbstbestimmung sind ebenso gründlich zu bedenken wie die denkbaren sozialen Folgen und Aspekte der Gerechtigkeit. Spr.:
Eingriffe ins Gehirn könnten auch dazu führen, dass der veränderte Mensch bisher gültige Überzeugungen und Übereinkünfte gar nicht mehr vertreten kann. Damit stellt die Neurowissenschaft die Gesellschaft vor eine Herausforderung, die über bisherige wissenschaftsethische Fragen hinausgeht.
O-Ton 10: Woopen (0'19") Ethische Fragen haben nämlich nur dann überhaupt Sinn, wenn wir davon ausgehen, dass wir als Individuen Verantwortung für unser Handeln überhaupt übernehmen können. Diese Dimension unterscheidet die Neuroethik von allen anderen ethischen Fragen, die wir uns im Zusammenhang mit den Lebenswissenschaften bislang haben stellen müssen. Regie: Musik, darauf
Zit.: Wer darf was? Ethik und Recht bei Eingriffen ins Gehirn
Regie: Musik (s.o.) hoch und Ende
O-Ton 11: Schläpfer (0'15") Tiefenhirnstimulation ist ein einfaches Verfahren, bei dem Elektroden in gewisse Hirnregionen verbracht werden, wo sie dann elektrisch reizen und modulatorisch auf diese Hirnregion einwirken können. Spr.:
Professor Thomas Schläpfer, Spezialist für neurowissenschaftliche Methoden von der Uniklinik Bonn, schildert eine chirurgische
Technik, die in mentale Funktionen des Menschen eingreift. Die Tiefenhirnstimulation wurde in den neunziger Jahren entwickelt, um das Zittern bei Menschen mit schwerer Parkinson-Krankheit zu kontrollieren. Sie ist hier mittlerweile Standard, recht gefahrlos und hilft ganz ohne Zweifel. Erste positive Erfahrungen gibt es mit der Elektrostimulation im Gehirn – die nichts mit Elektroschocks früherer Jahre zu tun hat – auch bei schweren Angst- und Zwangsstörungen sowie therapieresistenten Schmerzzuständen. Inzwischen wird das Verfahren auch bei Menschen mit schwersten Depressionen ausprobiert. Ein wichtiger Schritt, sagte der aus der Schweiz stammende Psychiater bei der Tagung des Ethikrates:
O-Ton 12: Schläpfer (0'10") Depression ist die schlimmste und bedeutungsvollste Erkrankung für die Menschheit. Das ist nicht meine persönliche Einschätzung sondern die der Weltgesundheitsorganisation.
Die Minderung von Leid ist ein wohl nicht zu entkräftendes Argument für die Erforschung und Anwendungen solcher Eingriffe ins Gehirn. Dass die Alarmglocken dennoch läuten, hat nicht nur mit möglichem Missbrauch in der Zukunft zu tun, sondern auch mit der Vergangenheit der psychiatrischen Hirnchirurgie. Zu Recht hatte die "Lobotomie" einen üblen Ruf, realistisch dargestellt etwa in dem Film Einer flog über das Kuckucksnest. Die Patienten wurden dadurch eher zu apathischen Zombies gemacht. Dieser Bürde ist sich auch Thomas Schläpfer bewusst:
O-Ton 13: Schläpfer (0'24") Das war eine Zeit, die Spuren hinterlassen hat, Spuren bei Ärzten, aber auch in der Gesellschaft, und das sind schreckliche und tiefe Spuren die uns vorsichtig stimmen müssen. Auch heute machen wir uns natürlich Gedanken und es macht uns Angst, wenn mit psycho- oder neurochirurgischen Verfahren seelischen Abläufe beeinflusst werden können. Spr.:
Die moderne Tiefenhirnstimulation aber richtet in der Abwägung zum Nutzen keine Schäden an und kann sogar rückgängig gemacht werden. Solche chirurgischen Eingriffe ins Gehirn sind auch rechtsethisch abgesichert. Hier greift der zentrale Begriff des "informed Consent": Jede medizinische Be-Handlung ist nur nach eingehender Aufklärung und anschließender Zustimmung erlaubt.
Aber können Kranke, die unter extremen Leidensdruck stehen, wirklich frei entscheiden?
O-Ton 14: Schläpfer (0'19") Es gibt nichts, was den freien Willen mehr einschränkt, als gewisse psychiatrische Erkrankungen. Der Impetus ist, dass wir fehlregulierte Regelkreise stabilisieren durch Neuromodulation. Und das Ziel ist, die Wiederherstellung genau dieser Bedingung, die eine Ausübung des freien Willens ermöglichen. Spr.:
Schwierig wird es mit Menschen, die die Tragweite eines Eingriffs überhaupt nicht einschätzen können: Bei der Behandlung von zum Beispiel geistig Behinderten muss der gesetzliche Vertreter einwilligen. Dazu der Bioethiker Henning Rosenau
O-Ton 15: Rosenau (0'20") Lässt sich die im potenzierten Maße höchst persönliche, weil das Ich betreffende Behandlung durch Eingriffe in das Gehirn von Stellvertretern treffen? Das ist die Frage. Würde man das für undenkbar halten, würden wir die Nicht-Einwilligungsfähigen gegenüber den Nicht-Gehandicapten benachteiligen, wir dürften sie schlicht überhaupt nicht behandeln. Spr.:
Bis hierhin also sehen Juristen und Ethiker die Probleme als beherrschbar an. Wie so oft aber bei biomedizinischen Entwicklungen bringen die reinen Heilkünste zumindest die Gefahr missbräuchlicher Anwendungen mit:
In den USA wird daran geforscht, den Hippocampus durch einen Computerchip zu ersetzen – die Hirnregion, die vor allem für Gedächtnis und Erinnerung zuständig ist, teilweise auch für Gefühle. Im Mai 2007 legte die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen mit Sitz in Bad Neuenahr einen Bericht vor, der es gut möglich erscheinen lässt, dass aus den therapeutischen Verfahren künftig Techniken der "Menschenverbesserung"
Einpflanzung eines Chips ins Gehirn, mit dessen Hilfe man Kontakt mit einem Computer herstellen oder zwischen einzelnen Individuen Gedanken austauschen kann. Damit aber würde der Mensch steuerbar. Und wie in Aldous Huxleys Roman "Schöne Neue Welt" argumentieren die Befürworter mit der Beseitigung des Verbrechens durch technische "Läuterung" des Menschen. Ethiker dürfen dann als Feigenblatt herhalten.
O-Ton 16: Mieth (0'11") Ich habe selber schon Einladungen zur Beteiligung an geplanten Projekten, die dann nicht stattgefunden haben, bekommen, wie man denn möglicherweise über das Gehirn einwirken kann auf die potentiellen Täter. Spr.:
Dazu ist die Meinung von Dietmar Mieth, katholischer Theologe und Professor für Wissenschaftsethik an der Universität Tübingen, eindeutig.
O-Ton 17: Mieth (0'26") Man muss sich einer möglichen Nutzung im Vorhinein verweigern, wenn man potentielle Täter und nicht Täter zu behandeln versucht, dass man sozusagen jetzt diese Leute in irgendeinen Apparat hinein schiebt um bei ihnen im vorhinein was festzustellen oder um gar bei ihnen einzugreifen, und dass ist eine Szenerie, bei der ich mir ein bisschen Sorge mache, auch gerade angesichts der Tatsache, dass unsere ganze Sicherheitsgeschichte angesichts des Terrors doch schon sehr stark in unser Verhalten eingreift.
Forschungsfreiheit ist in der deutschen Verfassung hoch angesiedelt, Verbote sind allenfalls bei Anwendungen möglich. Doch wenn es um die Erforschung von Eingriffen am Menschen geht …
O-Ton 18: Mieth (0'17") … da bin ich schon der Meinung, es braucht eine Forschungsregulierung, wir haben kein Bundesforschungsgesetz, und wir bräuchten so etwas, wir müssen feststellen, dass Forschung absolut zur Transparenz verpflichtet ist, das ist nicht ausreichend der Fall, und dass also überall auch die ethische, gesellschaftliche Begleitforschung gesichert ist. Regie: Musik, darüber
Zit. Authentizität – Identität – Menschenbild
Regie Musik-Ende
Spr.:
Schon in der heutigen Wirklichkeit aber geht es längst nicht mehr nur um Eingriffe in mentale Fähigkeiten von außen. Diskutiert und praktiziert
beziehungsweise Missbrauch von Psychopharmaka durch eigentlich gesunde Menschen, um kognitive Leistungen zu verbessern oder Gefühle zu regulieren. Die Berliner Psychiatrie-Professorin Isabella Heuser zitierte bei der Tagung des Ethikrates eine Umfrage der Fachzeitschrift
Wissenschaftlern, zur Nutzung der Neuro-Enhancer:
O-Ton 19: Heuser (0'09") Da hat ein großer Teil gesagt: 'Ja selbstverständlich. Wenn ich irgendwo einen Antrag abgeben muss oder wenn ich ein Paper fertig schreiben muss, warum auch nicht.' Spr.:
Angeblich gibt es bereits 600 verschiedene Mittel zum "Hirndoping": Antidepressiva, Medikamente zur Linderung von Demenzen, Aufputsch- und Beruhigungsmittel. Besonders verbreitet ist der Missbrauch von "Ritalin", das eigentlich nur für die Behandlung von kranken, nämlich hyperaktiven Kindern zugelassen ist. Der Bremer Pharmakologe Professor Gerd Glaeske:
O-Ton 20: Glaeske (0'14") Das gilt am Arbeitsplatz, das gilt in der Universität, das gilt auch in den Schulen schon, nämlich zu fragen: Kann ich denn mit diesen Mitteln, auch wenn ich nicht krank bin, mir einen positiven Push verschaffen und vielleicht auch mit diesem Push besser werden als meine Konkurrenten um mich herum. Spr.:
Und das alles, obwohl wissenschaftlich noch nicht klar ist, ob solche Mittel wirklich die mentalen Leistungen steigern und ob sie nicht bei Gesunden heftigere Nebenwirkungen haben als bei Kranken. Trotzdem
medikamentöses "Hirndoping" verbreitet.
Mit juristischen Mitteln lässt sich dem kaum beikommen, abgesehen davon, dass es sich eigentlich um verschreibungspflichtige Mittel handelt, deren Beschaffung für diesen Zweck illegal ist. Ansonsten greift hier kein Dritter unerlaubt in das Gehirn ein, Menschen betreiben das Neuroenhancement freiwillig.
O-Ton 21: Woopen (0'17") Nichtsdestotrotz sollten wir uns in eine intensive Diskussion über wertvolle Ziele begeben im Rahmen unserer Gesellschaft und sollten jenseits von gesetzlichen Erlaubnissen und Verboten erst einmal darüber diskutieren und uns im Klaren darüber werden, was wir für sinnvoll halten. Spr.:
… sagt die stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates Christiane Woopen,
O-Ton 22: Woopen ff. (0'17") … was ist es wert zu verfolgen in einem Leben? Was mache ich mit meinem Körper, meiner Lebensweise, um ganz bestimmte Ziele zu erreichen? Das sind ganz genuin moralische
Diskussionen, die stattfinden müssen, noch bevor wir darüber nachdenken, ob man etwas gesetzlich jetzt verbieten muss oder nicht. Spr.:
Von einigen psychiatrischen Praktikern hingegen – so beklagen Ethik-Experten – kommt zu der moralischen Dimension und zur eigenen Verantwortung beschämend wenig Substantielles. Einige der von Teilnehmern als abwiegelnde kritisierten Argumente von Gabriele Heuser bei der Ethikrat-Tagung im Juli 2009:
O-Ton 23: Heuser (0'40") Es kommen immer wieder Einwände, dass das Ziel "Verbesserung" überhaupt falsch ist von Neuro-Enhancement – das kann man – ja, das ist eine Meinung, die man diskutieren kann; Dann die Verteilungsgerechtigkeit, das, glaube ich, ist nicht unbedingt ein Einwand, weil, das heißt nicht unbedingt, dass eine hoch kompetitive Gesellschaft tatsächlich auch Schwächere vernachlässigen muss, sondern im Gegenteil, die hätte sogar mehr Mittel, um auch Schwächere zu unterstützen und mitzunehmen; Dann wird immer wieder gesagt, Neuro-Enhancement ist unnatürlich, das, glaube ich, ist wirklich kein besonders überzeugendes Argument, weil wir eben mit vielem Unnatürlichen leben, und viele Verbesserungen haben, die unnatürlich sind, wenn Sie so wollen. Spr:
Für Andere führt gerade letzteres, das Thema "Natürlichkeit", direkt ins Zentrum der ethischen Debatte, zur Frage nach Authentizität und Identität. Gerd Glaeske, Pharmakologe am Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen:
O-Ton: 24: Glaeske (0'42") Das Problem ist für mich, dass unter allen Tabletten, die ich nehme, insbesondere unter denen, die natürlich jetzt die Psyche verändern, die Persönlichkeit letzten Endes auch sich verändert. Das bedeutet: Ich bin nicht mehr ich, sondern ich bin jemand, der über ein Arzneimittel lebt. Und ich möchte nicht, dass wir sozusagen als Zombies durch die Gegend laufen und mit Arzneimitteln voll gepumpt sind, ich möchte diesen Menschen kennen lernen mit all seinen Gefühlen, mit all seinen Ängsten, mit all seinen Freuden, mit all seinen Aufs und Abs. Und ich möchte wirklich Alle, die meinen, mit Tabletten besser zu leben, auch daran erinnern, dass die persönlichen Gefühle uns ausmachen, und dass es eben nicht diese schnelle Therapie über die Pillendose gibt, sondern wir müssen uns um uns selber kümmern, auch wenn es manchmal sehr schwierig ist. Spr.:
Damit meint auch der kritische Arzneimittelfachmann lediglich den Einsatz von Psychopharmaka bei Gesunden und leugnet keineswegs deren Nutzen gegen psychische oder psychiatrische Erkrankungen.
Noch massiver könnten hirnchirurgische Maßnahmen in die Identität einer Person eingreifen – nicht von vornherein zum Schlechten. Dazu ein spektakulärer, aber realer Fall, den der Jurist Reinhard Merkel dem Deutschen Ethikrat zu Bedenken gab:
O-Ton 25: Merkel (0'45") Ein rabiater, gewalttätiger Mensch in England, zigfach verurteilt, das Gericht hat ihm immer attestiert, dass er einen freien Willen hat und nicht krank ist, einfach ein ekelhafter Mensch, dann hat er ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten mit einer bestimmten Hirnblutung, das ging in jedem Sinne gut aus: Dieser Mensch ist durch die Hirnblutung so verändert worden, dass er hinterher das genaue Gegenteil war: Ein sehr freundlicher Mensch und ein sehr produktiver Künstler , dieser Mann sagt heute 'das war das beste, was mir passieren konnte, jetzt bin ich ich selbst'. Er ist in einem substantiellen Sinn eine andere Persönlichkeit. Ich frage mich, wenn das nicht die Natur gemacht hatte, sondern das über einen technischen Eingriff geschehen wäre, würden wir das wirklich tadeln, würden wir da wirklich sagen, du bist nicht mehr derselbe, du bist inauthentisch? Spr.:
In diesem Fall kam die letztlich glückliche Schicksalswendung bei einem Einzelnen auch der Gesellschaft zu Gute, und – so die Botschaft – dies könne teilweise auch die Neurowissenschaft bewirken.
Regie: Musik, darüber
Zit.: Neue Menschen – Neue Gesellschaft
Regie: Musik – hoch und Ende
Spr.:
Wenn der Mensch selbst seine emotionalen und kognitiven Fähigkeiten durch Neuroenhancement fundamental ändern kann, wenn
neurowissenschaftliche Methoden von außen „umzupolen“, dann verändert sich auch die Gesellschaft – und nicht zum Guten, befürchten Kritiker.
Die Idee der Verhaltenskontrolle durch einen Staat mittels psychoaktiver Substanzen gibt es nicht nur in Science-Fiction-Romanen. Es tauchten zum Beispiel auch Überlegungen auf, soziale Unruhebezirke in großen Städten durch beruhigende Stoffe im Trinkwasser zu "befrieden". Dies berichtete die Süddeutsche Zeitung mit Berufung auf eine interne Tagung von Sicherheitsexperten und Wissenschaftlern. Derlei Szenarien heizen gelegentlich die öffentliche
Debatte an. Im aktuellen wissenschaftsethischen Diskurs geht es eher um schleichende, aber nicht minder gravierende gesellschaftliche Prozesse.
Eine Befürchtung: Hirndoping verzerrt die Chancengleichheit. Der Tübinger Wissenschaftsethiker Dietmar Mieth:
O-Ton 26: Mieth (0'30") Das ist nach meiner Ansicht völlig parallel mit leistungssteigernden Mitteln im Bereich Sport. Und zwar, weil es im Grunde eine Vorteilsnahme ist und eine Wettbewerbsverzerrung, und ich glaube schon, dass wir eine andere Gesellschaft bekommen, wenn die Kenntnis von bestimmten Mitteln und die Bezahlbarkeit, plötzlich selektiv wird, das ist auch ein wirtschaftsethisches Problem, welche Art von Angeboten wollen wir denn durch Forschung irgendwie erstellbar machen, also wir sind nicht nur dafür verantwortlich, ob wir etwas nutzen, wir sind auch dafür verantwortlich, ob wir die Möglichkeit dafür schaffen, dass etwas genutzt werden kann. Spr.:
Mieth verlangt eine Regulierung des Marktes für die Mittel zur Selbstverbesserung, ähnlich der Dopingkontrolle im Sport.
Wissenschaftssoziologe Professor Wolfgang van den Daele die Idee des "mentalen Selbstbestimmungsrechtes". In der Diskussion beim Deutschen Ethikrat begründete er dies so:
O-Ton: 27: Daele (0'31") Die Frage ist: Sollen wir kollektiv regeln, wie wir leben sollen? Das ist aber in modernen Verfassungsstaaten und in modernen Gesellschaften nicht mehr das Thema. Wir sind ganz viel in Rollen eingezwängt und in Konventionen und in Normalitätsbilder und in Weltbilder und Kulturen, aber wir können aus diesen Dingen ausbrechen. Wir haben Handlungsspielräume, und die sind hoch abgesichert, strukturell in der Gesellschaft und normativ durch die Verfassung. Spr.:
Eine weitere Kritik lautet: Die Neurowissenschaft forciert die übermäßig-unmenschliche
stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates, Christiane Woopen:
O-Ton 28: Woopen (019") Sollte sich das so herausstellen, Konstellationen die einem das Nein-Sagen erheblich erschweren wenn nicht gar verunmöglichen, dann müsste man tatsächlich noch 'mal auch unter diesem Gesichtspunkt überlegen. Aber das es jetzt schon einen allgemeinen Druck auf Leistungssteigerung durch Medikamente gibt, das würde ich jetzt für unsere Gesellschaft so noch nicht diagnostizieren.
Die Meinungen dazu sind nicht einhellig. Gerd Glaeske, der Pharmaexperte, verweist auf das Medikament "Ritalin", das – wie die Umsatzzahlen zeigen – offenkundig auch vielen gesunden Kindern verabreicht wird.
O-Ton 29: Glaeske (0'39") Wir haben einen Wettbewerb um die besten Startpositionen. Das bedeutet schon, nicht auffällig zu sein, allenfalls auffällig zu sein über Leistungen, und insofern gibt es viele Elterngruppen, die sagen, man soll vermeiden, dass Kinder im Kindergarten oder in der Schule besondere Probleme machen. Und das bedeutet auch, dass man versucht, die Kinder nicht "zur Last fallen" zu lassen, und unser Eindruck ist, dass 40 bis 50 Prozent der Kinder, die heute solche Mittel bekommen, nicht ausreichend diagnostiziert sind und diese Mittel bekommen sie mit leichter Hand verordnet, oftmals von Kinderärzten, von praktischen Ärzten, und das halte ich für ein Problem, dass Eltern dies so einfach geschehen lassen, und das scheint sich zu verselbständigen. Spr.:
Der Mainzer Neurophilosoph Thomas Metzinger sieht langfristig sogar ein „neurotechnologisches Wettrüsten“, weil in unserer Kultur insgesamt die Hemmschwellen zur Körpermodifikation sinken:
O-Ton 30: Metzinger (0'30") Wir haben das auch in der Piercing-, Tattoo-Bewegung gesehen; Dasselbe könnte natürlich auf der Ebene des Gehirns erfolgen, dass Hemmschwellen sinken für die Selbstveränderung, und dass das allgemeine Verständnis dafür, dass es vielleicht so etwas wie einen klaren Normal-Bewusstseinszustand gibt, den man durch solche Sachen wie Sport oder Meditation auch optimieren kann, verloren geht, weil Abkürzungen zur Verfügung stehen immer mehr, und so ein sozialer Druck entstanden ist. Spr.:
Wie soll eine Gesellschaft also mit den Möglichkeiten der Selbstverbesserung umgehen? Der Theologe und Philosoph Ludger Honnefelder:
O-Ton 31: Honnefelder (0'38") Unsere Konzepte von Solidarität und Hilfsbereitschaft sind orientiert an einem bestimmten Konzept von bedürftiger Natur. Soll ich denjenigen der meinen sozialen Kontakt braucht, damit abspeisen, dass ich ihn pharmakologisch ruhig stelle? Oder ihm zu einem glückvollen emotionalen Zustand hirnphysiologisch verhelfe? Und soll ich diese Praxis sich einschleichen lassen? Das sind politische Entscheidungen und Ziele, und die Frage ist, ob ich solche Prozesse der Mehrheitsentscheidung aussetze und eine gesellschaftliche Diskussion initiiere oder ob ich das dem libertären Spiel der Kräfte überlasse. Spr.:
Letzteres hielte Honnefelder für fatal. Für den Soziologen Wolfgang van der Daele hingegen wäre ein Verbot von mentalen Dopingmitteln der falsche Schauplatz.
O-Ton 32: Daele (0'33") Alle strukturellen Probleme, die wir in der Gesellschaft haben: exzessives Leistungsstreben oder keine ausreichende Investition in die Bildung, es wäre natürlich verheerend, wenn man sagen würde, das können wir alles so lassen, wir haben ja jetzt Ritalin oder wir haben Prozac, natürlich kann das nicht so gehen. Nur: wovor ich warnen würde zu denken, indem wir an Ritalin oder Prozac rumdoktern, hätten wir an unseren strukturellen Problem irgendwas geändert. Nein, null haben wir daran geändert, wir bleiben bei diesen strukturellen Probleme, und wenn man gegen die Leistungsgesellschaft ist, dann soll man es gegen die Leistungsgesellschaft tun und nicht gegen Ritalin. Regie: Musik, darüber
Zit.: Kein leichter Weg …
Regie: Musik – Ende
O-Ton 33: Honnefelder (0'17") Wie kaum ein anderer Bereich der Biomedizin zeigt die neue Hirnforschung, dass die durch die Moderne eröffneten Handlungsfelder einen Bedarf an Moral nach sich ziehen, bei dem nicht Wenige die Sorge haben, ob der Mensch dieser Herausforderung gewachsen ist. Spr.:
… sagte Ludger Honnefelder in seinem Schlussreferat auf der Tagung des Deutschen Ethikrates. Die Herausforderung hatte der Ethikrat mit der Befürchtung formuliert, der Mensch könne nach Gutdünken steuerbar werden, womit das menschliche Selbstverständnis radikal überdacht werden müsste. Allzu düsteren Visionen von den Folgen der Neurowissenschaften setzt der Philosoph und Neuroethiker Thomas Metzinger mehr die Ambivalenz der neuen Möglichkeiten entgegen:
O-Ton 34: Metzinger (0'46") Die Frage ist eher, wie nutzen wir diese neuen Möglichkeiten intelligent, um unsere eigene Autonomie zu erhöhen? Wir könnten unsere Autonomie verlieren, zum Beispiel, indem wir neue Drogen entwickeln, die uns süchtig machen. Wir könnten unsere Autonomie aber auch erhöhen, indem wir vielleicht uns in manchen Fällen von geistigen Behinderungen befreien. Vielleicht haben wir ja so etwas wie eine Pflicht zur Selbstverbesserung: Wie wäre es denn, wenn eine Technologie käme, die die moralischen Eigenschaften von Menschen verbessern würde? Ja, so ein nebenwirkungsfreies Ecstasy, das alle Menschen empathischer, rücksichtsvoller machen würde? Das heißt, wir kommen um die ganz altmodischen ethischen Diskussionen nicht herum.
.insgesamt also eher Angst oder doch Hoffnung angesichts der rasanten Entwicklung der Eingriffsmöglichkeiten in unser Gehirn?
O-Ton 35: Metzinger (0'33") Die Bereiche, die mir die größten Sorgen bereiten, ist eben die auch schwer kontrollierbare Anwendung durch das Militär und Geheimdienste. Da wissen wir als normale Bürger einfach nicht, was geschieht und wie gut die Kontrolle durch Parlamente auch ist, auf der anderen Seite werden die technischen Fortschritte aber auch nicht so schnell sein, wie viele das jetzt im Moment denken, und was mir auch große Hoffnung macht, ist, dass eine ganze Reihe wirklich guter junger Philosophinnen und Philosophen sich diesem Gebiet jetzt zuwenden, die Frage ist halt, ob denen irgendwann mal jemand mal zuhört.
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