ALKOHOLMANUAL BL Abklärung, Behandlung und Betreuung alkoholkranker und alkoholgefährdeter Patienten an den somatischen Spitälern des Kantons Basel-Landschaft 1. Zielsetzung 2. Diagnostik und Screening der Alkoholkrankheit
Screening des schädlichen Alkoholkonsums
3. Patientenpfad und Assessment bei Verdacht auf Alkoholkrankheit
Assessment bei vermuteter Alkoholkrankheit
Dokumentation von Alkoholdiagnosen und Kostenübernahme durch Zusatzversicherungen
4. Management der Alkoholkrankheit
4.2.1. Entscheid, ob Entzug ambulant oder stationär durchgeführt werden sol
Therapie des Alkoholabusus und der Alkohol-Abhängigkeit
4.3.5. Psychosoziale Interventionen durch den PDA
5. Anhänge
Alkoholkrankheit und psychiatrische Komorbidität
Forensische Aspekte der Alkoholkrankheit
Zielsetzung
Circa 7% der Schweizer Wohnbevölkerung leiden unter alkoholbedingten gesundheitlichen oder sozialen Problemen. Das ergibt für den Kanton BL ca. 18'000 - 20'000 Betroffene. 10- 25% der hospitalisierten Patienten weisen einen alkoholbedingten Gesundheitsschaden auf. 20% trinken Alkohol in Mengen, welche ein Risiko für alkoholinduzierte Schäden darstel en. Dies gilt für Patienten al er Kliniken und Abteilungen. In der Kantonalen Psychiatrischen Klinik ist Alkoholabusus die häufigste Diagnose. Der Aufenthalt im Spital schafft gute Voraussetzungen, das Problem Alkohol anzusprechen und es mit dem Patienten und seinem Umfeld zu bearbeiten. Die bei Ärzten und Pflegenden leider verbreitete therapeutische Zurückhaltung bis hin zur Ablehnung Alkohol-spezifischer Interventionen ist längst widerlegt, die Therapieerfolge sind mit denen bei anderen chronischen Erkrankungen vergleichbar! Die Alkoholkrankheit hat für den Betroffenen und sein Umfeld leidvolle Konsequenzen und ein grosses Gewicht für das Gesundheitswesen. Ihre Pathogenese ist komplex und erfordert einen multidisziplinären Therapieansatz mit vernetzten Betreuungsstrukturen.
Dieses Manual sol die Abklärung und Behandlung von Patienten in und am Spital vereinfachen, vereinheitlichen und verbessern. Das Ziel ist eine Verbesserung der Lebensqualität für die Betroffenen und ihrer Angehörigen sowie die Prävention potentiel er Gesundheitsschäden. Dr.med. Claudine Aeschbach, Leitende Aerztin Psychiatrische Dienste für Abhängigkeitserkrankungen (PDA) Basel and 061 927 75 80 claudine.aeschbach@kpd.ch Dr.med. Niklaus Schaub, Leitender Arzt Gastroenterologie Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Bruderholz 061 436 22 01 niklaus.schaub@ksbh.ch Dr.med. Michael Steuerwald, Oberarzt Gastroenterologie Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Liestal 061 925 21 94 michael.steuerwald@ksli.ch, Dr.med. Jörg Wanner, Chefarzt-Stel vertreter Externe Psychiatrische Dienste (EPD) Basel and 061 425 45 45 joerg.wanner@kpd.ch,
Diagnostik und Screening der Alkoholkrankheit Anamnese Verhalten des Arztes und Stil der Anamnese
Kooperation gewinnen, Abwehr nicht durch Konfrontation verstärken Erkennen der eigenen Widerstände: Abneigung (des Arztes) gegenüber
Alkoholkranken und Zweifel, helfen zu können
Zusammenhänge zwischen somatischem Problem (Folge) und Alkoholkonsum
(Ursache) aufzeigen. Durch 'Weglassen' dieses Sachverhalts macht sich der Arzt zum 'Komplizen', der die Ursache des Problems ebenfal s leugnet oder verdrängt. Krankheitseinsicht ist ein starker Motivator für eine Therapie.
Nicht-wertendes Einbetten in die Systemanamnese: Fragen nach Lebensge-
wohnheiten (Essen, Sport, Schlaf, Hobbys), Fragen nach Medikamenten, Frage nach Rauchen, Kaffee
Frage nach konsumierter Menge und Erfahrungen mit Alkohol, Trinkgewohnheiten
Erklären, warum man fragt : „Ich werde Ihnen jetzt einige Fragen betreffend des
Konsums von Alkohol stel en. Alkohol kann eine Reihe von gesundheitlichen Problemen verursachen und die Wirkung von bestimmten Medikamenten verändern. Deshalb ist es für mich sehr wichtig zu wissen, wieviel Sie normalerweise konsumieren und ob Sie jemals irgendwelche Probleme nach dem Konsum von Alkohol hatten.“Alkohol-Trinkmenge
1 Drink = 1 Glas = 10 g Alkohol 2,5 dl Bier, 1 dl Schaumwein, 1 dl Wein, 7 cl Aperitif, 3 cl Whisky/Schnaps/Pastis
> 40 g Alkohol täglich; > 8 Gläser bei einzelnen Gelegenheiten;
> 20 g Alkohol täglich; > 6 Gläser bei einzelnen Gelegenheiten
Anamnestische Hinweise auf alkoholbedingte Schädigungen
Händezittern Durst am Morgen, morgendlicher Brechreiz Konzentrations-/Gedächtnisstörungen, Hal uzinationen, Verwirrtheit, Alpträume erhöhte Reizbarkeit, Stressintoleranz, Schlafstörungen, sexuel e Probleme Berufliche Probleme (Nachlassen der Leistung, Absentismus, Stel enverlust) Arbeitsunfäl e, Unfäl e unter Alkoholeinfluss, Verletzung durch Tätlichkeit Ehestreitigkeiten, häusliche Gewalt, Straftaten, Fahrausweisentzug
Status: Zeichen schädigenden Alkoholkonsums
Foetor aethylicus Gesichtsröte, Oedem des weichen Gaumens, Rhinophym Habitus („Bierbauch“, atrophe Schulter- und Beinmuskulatur) Ataktischer Gang, Händezittern Zeichen der schweren chronischen Hepatopathie (Palmarerythem, >5 Spider
Naevi, Gynäkomastie, Abdominalglatze, Ikterus, Aszites)
Verbrennungen, Narben, Schürfungen, Brennmarken an den Händen (Zigaretten);
Routineparameter
Blutalkohol: beweist rezenten Konsum. Forensische Bedeutung bei Unfäl en.
MCV: erhöht bei chronischem Konsum in erheblichen Mengen, unspezifisch γGT: normalisiert nach < 5 Wochen Abstinenz, unspezifisch ASAT: erhöht nach Alkoholexzessen, normalisiert nach 48 Stunden ASAT/ALAT-Ratio > 2: relevante alkoholtoxische Hepatopathie γGT und MCV: Schweregrad des Alkoholkonsums Quick: Marker der Malnutrition
Carbohydrate Deficient Transferrin (CDT)
Konsum >50 g Alkohol/d (4-5 Drinks) über > 2 Wochen bewirkt CDT-Erhöhung Grenzwerte Viol ier: normal <1.8%, grenzwertig: 1.8 – 2.5%, pathologisch > 2.5% Sensitivität: 70 – 80%, Spezifität 90 – 95%, am besten validiert für Männer > 40 J. HWZ: ca. 2 Wochen, d.h. Normalisierung bei Abstinenz Problematisch: falsch hohe Werte bei fortgeschrittenen Hepatopathien,
Antiepileptika, Fe-Mangel; falsch tiefe Werte: Fe-Überlastung, Frauen mit Hormonsubstitution, SS (Hematology 1999)
Indikation: unklare Anamnese, Abstinenzkontrol e Kosten: 70 TP
Screening des schädlichen Alkoholkonsums Zweck Erfassen des Alkoholkonsums bei Patienten, bei denen eine Gefährdung (Risikokonsum, anamnestische Hinweise) oder ein manifester Schaden besteht = 'opportunistisches' Screening. AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification Test, WHO 2001)
Erfasst Risikokonsum (Grenzwerte siehe oben, Fragen 1-3), Alkoholabhängigkeit
(Fragen 4-6) und Alkoholabusus (Fragen 7-10). Uebersetzung s. Anhang 4, S. 19.
Fragen sind kurz und präzise und erfassen das ganze Spektrum schädigenden
Folgeschäden), welche von den Patienten oft nicht spontan genannt werden.
Einführung gegenüber dem Patienten „Um eine optimale Behandlung Ihrer Krankheit / Ihres Zustandes zukommen zu gewährleisten, ist es für uns wichtig, Ihren Konsum alkoholischer Getränke in den letzten 12 Monaten zu erfassen. Bitte beantworten Sie die Fragen so genau wie möglich. Diese Angaben werden - wie alle Informationen über Sie - strikt vertraulich behandelt. Ich werde den Fragebogen auswerten und das Ergebnis mit Ihnen besprechen.“ Auswertung Die Auswertung ergibt eine Punktzahl von 0-40. Mehr als 8 Punkte: Sensitivität für Risikotrinken und Alkoholabusus 90% (bestes verfügbares Screeningtool). Gesamtpunktzahl ergibt einen Anhaltspunkt für die Gefährdung und den Schweregrad des alkoholbedingten Schadens. AUDIT ergibt keine Diagnose! 1 und mehr Punkte bei Fragen 2 und 3: Patientenpfad und Assessment bei vermuteter Alkoholkrankheit Patientenpfad
• ambulant/stationär• Nachbetreuung• Medikamente
Assessment bei vermuteter Alkoholkrankheit
• Abklärung Organschaden?
• Dokumentation • Therapie Fokussierte Anamnese: • Soziales/FA • psychiatr. Erkrankungen Alkoholbedingte
•Dokumentation Morbidität
•Kontaktnahme mit HA, anamnestisch? Psychiater, Suchtberater Psychiatrischer Dienst für
≥8 Punkte Abhängigkeitserkrankungen (PDA) Liestal: 061 927 75 80, Reinach: 061 712 15 15 <8 Punkte Aerztlicher Rat situativ Diagnose (F10) Therapieplan Ziel des Assessment 4 Abklärungsfelder:
Alkoholkrankheit in ihrer Gesamtheit • Alkohol-spezifische Organschädigung?
• Alkohol-spezifische soziale Auswirkungen:
Alkoholdiagnose(n) stellen
Am Anfang eines Behandlungskonzeptes steht eine Diagnose oder eine fundierte Verdachtsdiagnose. Alkoholkrankheit ist ein Überbegriff. Die exakten Diagnosen sind nach den ICD 10-Definitionen zu stel en, deren häufigste angeführt sind. Die Diagnosen der Gruppe F10 umfassen psychische und Verhaltensstörungen durch Alkoholwirkung.
Akute Intoxikation (Rausch) Schädlicher Gebrauch Abhängigkeitssyndrom Entzugssyndrom Entzugssyndrom mit Delir Definition Schädlicher Gebrauch (meist 'Abusus' genannt )nach F10.1: Konsum psychotroper Substanzen, der zur Gesundheitsschädigung führt. Diese kann als körperliche Störung auftreten, etwa in Form einer Hepatitis nach Selbstinjektion der Substanz oder als psychische Störung zum Beispiel als depressive Episode durch massiven Alkoholkonsum. Definition Abhängigkeitssyndrom (meist 'Abhängigkeit' genannt) nach F10.2 Eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Typischerweise besteht ein starker Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrol ieren, und anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen. Dem Substanzgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben. Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom. Dokumentation und Kostenübernahme durch Zusatzversicherungen
Die ärztliche Berufsausübung unterliegt der Sorgfalts-, Informations-, Schweige- und Dokumentationspflicht. Zusatzversicherungen schliessen in der Regel Leistungen bei substanzbedingten Gesundheitsschäden aus. Die Patienten haben mit ihrer Versicherung einen Vertrag unterzeichnet, in welchem sie auf diesen Sachverhalt hingewiesen werden. Deshalb sol ten Patienten, welche z. B. für einen stationären Entzug eintreten, darauf hingewiesen werden, dass ihre Versicherung möglicher-weise die Kosten der Halbprivat- oder Privatabteilung nicht übernimmt. Das Verschweigen einer Diagnose gegenüber einer Versicherung kommt dem Tatbestand einer Falschbeurkundung gleich. Langfristige Gesundheitsschäden wie eine äthyltoxische Leberzirrhose werden in der Regel von den Zusatzversicherungen übernommen. Entscheidend für die Leistungspflicht ist die Frage, ob die Hospitalisation unmittelbar mit einem (aktiven oder kürzlich zurückliegenden) Substanzgebrauch zusammenhängt oder nicht.
Alkoholkonsil
Die Indikation für das Alkoholkonsil ergibt sich aus dem in 3.2. dargestel ten diagnostischen Algorithmus. Das Alkoholkonsil ist ein obligater und integraler Bestandteil des Managements. Die Patienten werden durch suchttherapeutisch geschulte Mitarbeiter des Psychiatrischen Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen beurteilt. Das Konsilium enthält eine Empfehlung für eine al fäl ige soziotherapeutische, medikamentöse oder psychiatrische Behandlung. Diese Konsilien dienen der nahtlosen Anbindung ambulanter Programme an den stationären Klinikaufenthalt. Sie sind ein Instrument der Qualitätskontrol e und–sicherung.
Management der Alkoholkrankheit
Im folgenden sol en Grundprinzipien aufgezeigt werden. Selbstverständlich sind die Patienten gemäss den individuel en Gegebenheiten zu behandeln. 4.1. Akute Alkoholintoxikation
---------------------------------------------------------------------
Körpergewicht (kg) x F (F = Frauen 0,6/Männer 0.7)
Durchschnittlich wird etwa 10 g Alkohol pro Stunde abgebaut Frauen sind nach geringeren Mengen intoxikiert als Männer Differentialdiagnose: andere psychotrope Substanzen, ZNS-Verletzungen,
Blutalkoholspiegel ≥ 4‰: Letalität unbehandelt 50% Minimales Labor: kleines Blutbild, BZ, Blutalkohol, U-Status kein spezifisches Antidot (Aktivkohle wegen rascher Resorption nicht wirksam!)
Hospitalisation bei relevanter Komorbidität oder GCS <13
IPS-Indikation: GCS < 12, nicht führbar auf Abteilung
Patienten mit Alkohol-Intoxikation und GCS <13: 100 mg Thiamin (Benerva®) iv Alkoholexzess + KH-Malnutrition: 'high anion gap'-Azidose + Ketonurie; DD:
Methanol, Ethylenglykol, Laktazidose, diabetische Ketoazidose. Therapie: Thiamin (Benerva®) i.v.100 mg + Glukose 5% i.v. + NaCl 0,9%. Cave: Phospatspiegel beachten und substituieren, wenn < 0.5 mmol/L
Prinzip der Intoxikationsbehandlung: Ueberwachung, Behandlung von
Komplikationen, Entlassung nach Ausnüchterung
Alkohol-Entzugsbehandlung
Circa 40% erfahren keine Entzugssymptome, circa 50% milde, vegetative
Entzugssymptome, nur circa 10–15% erleiden einen schweren Entzug (inklusive Delir mit hoher Mortalität!)
Bei somatischer Komorbidität symptomatischen Alkohol-Entzug antizipieren und
(prophylaktisch) behandeln! Gilt insbesondere bei Patienten vor Operationen.
4.2.1. Entscheid, ob Entzug ambulant oder stationär durchgeführt werden soll
Eher ambulant Eher stationär
Psychiatrische Komorbidität (z.B. Suizidalität)
Frühere misslungene oder komplizierte Entzüge
Durchführung: Kantonsspitäler oder KPK
4.2.2. Ambulanter Entzug
Ziel Entzug in üblicher Umgebung Voraussetzungen
Patient „trocken“ 1 x pro Tag Kontakt mit Hausarzt: Beachte Wochenende!
Medikamentöse Unterstützung
Lorazepam (Temesta®) 1-2 mg al e 6 Stunden in den Tagen 1 – 3, anschliessend
Carbamazepin (Timonil®, Tegretol®). Mittel der Wahl bei Polytoxikomanie oder
Gefahr der (iatrogenen) Benzodiazepinabhängigkeit, Tagesdosis 600 mg
in der Regel nicht notwendig, wenn Alkoholkonsum/-Rezidiv ≤ 1 Woche Dauer,
keine erkennbaren Entzugssymptome in nüchternem Zustand, geordnete Tagesstruktur, regelmässige Mahlzeiten, genügend Flüssigkeit, Schlaf
Ambulanter Entzug im PDA
2x täglich Atemluftkontrol en Carbamazepin (Timonil®) ret. 300mg am Vorabend vor dem geplanten Entzug,
anschliessend 2x tgl. (bei Atemluftkontrol e) während einer Woche
4.2.3 Stationärer Entzug Schweregrad und Komplikationen des Entzugs Pharmakotherapie des stationären Entzugs
durch Glucuronidierung, keine aktiven Metaboliten
Übliche Dosis po: 5-5-10 mg, Kontrol e von Krampfanfäl en iv 0.1-0.2 mg/kg
Alternativen und Ergänzungen zu Benzodiazepinen
Schwere Unruhe, Kombination mit Ausschleichen, da sonst
Unruhe, Hal uzinationen, kombinierbar Keine extrapyramidalen NW
Uebliche Dosis: 15 mg p.o./i.m. 12- Bei eingeschränkter Leber-stdl.
funktion Dosis reduzieren Bradyarrhythmien
Unruhe, Hal uzinationen, Kombination Senkt Krampfschwel e
Initiale Dosis nach Massgabe Klinik: 0.5- 5 mg iv, al e 4 Stunden b. Bedarf
Patienten beschrieben: (Crit Care Med. 2000; 28: 1781-4)
Nur auf IPS
Carbamazepin Uebliche Dosierung: 400 mg CR 1-0-1 Schwindel, Ataxie als UAW (Tegretol®)
Nicht empfohlene Medikamente/Substanzen
Clomethiazol (Hemineurin®/Distraneurin®): Ungünstiges Nebenwirkungsprofil:
Atemdepression, bronchiale Hypersekretion, plötzlicher Herztod, Abhängigkeit
Alkohol: Gastrointestinale, hepatische, neurologische, metabolische Nebenwir-
kungen. Kein Vorteil gegenüber Benzodiazepinen J Trauma. 2008 Jan;64(1): 99-104. Intensive Care Med. 2002 Oct;28(10):1475-82.
4.2.4 Entzugsdelir
Risikofaktoren für Delirium tremens
Akute Komorbidität (Herz, Lunge, Niere, Leber, Infekt, Metabolismus): OR 5.1 Zeit nach dem letzten Drink (2 oder mehr Tage) Hoher Alkohol-Spiegel bei Eintritt Frühere Krampfanfäl e oder Delirium tremens Alter >60 J: erhöht das Risiko für Delirium und Krampfanfäl e: OR 4.7 und 3.1
Differentialdiagnose des Delirium tremens
Drogen: akute Intoxikation mit Kokain oder Amphetamin Sepsis, Thyreotoxikose, Hypoglykämie, Hitzschlag ZNS: Trauma/CVI/Tumor/Enzephalitis/Enzephalopathie Medikamente:, Antidepressiva, Parkisonmedikamente (L-Dopa, Amantadin,
Bromocryptin), Antiepileptika, Chinolone bei älteren Patienten, Steroide, Muskelrelaxantien, Anticholinergika
Entzugssymptome: Benzodiazepine, Clonidin, Opioide (ausgelöst d. partiel e
Therapie auf der Notfallstation/Intensivstation
Prinzip: supportive care, Vermeiden von Komplikationen Ruhige Umgebung Prophylaxe desThiamin-Defizites: 300 mg Thiamin (Benerva®) i.v. in 250 ml NaCl
0.9% über 30 Minuten 1x/d für 3 Tage, dann 1 x 300 mg po ab Tag 4
1000 ml Glucose 10% über 12 h iv; Anpassung an BZ und Volumenstatus: bis 6 L
Volumen-Defizit bei Entzugsdelir. Cave Auslösung eine Thiamindefizits durch Glucose iv!
Elektrolyt-Monitoring; Kalium, Magnesium, Phosphat Ernährung: Cave Hypoglykämien: Euglykämie anstreben! Beruhigung/Orientierung
Therapie des Alkoholabusus und der Alkoholabhängigkeit
4.3.1. Allgemeines
Die Erfolgsraten einer multimodalen Intervention bei Alkoholkrankheit sind mit
denjenigen anderer chronischer internistischer Erkrankungen (Hypertonie, Diabetes, Asthma) vergleichbar.
Das Erreichen der Therapieziele ist gerade auch bei der Alkoholkrankheit
abhängig von der Compliance, die durch angemessenes Krankheitsverständnis (Information!) und Nebenwirkungsarmut der eingesetzten (medikamentösen) Therapie verbessert wird.
Psychiatrische (unbehandelte) Komorbidität beeinträchtigt Compliance und
Den Spitalärzten kommen folgende Aufgaben zu: Identifikation gefährderter oder
manifest alkoholkranker Patienten, somatischer work-up der Alkoholkrankheit (Folgeschäden), Organisation eines Alkoholkonsils, Festlegen der Diagnose, Erstel en eines Therapieplans
Die psychiatrische/psychosoziale Intervention ist Aufgabe der involvierten Fachleute (PDA, EPD)
4.3.2. Kurzintervention
Definition: Assessment, Information, Beratung „counsel ing“, meist durch trainierte
Fachpersonen (Pflegende, Suchtberater, Aerzte). Keine „Therapieform“. Dauer: ca. 1 Stunde. Findet im Rahmen des Alkoholkonsils statt.
Effekt der Kurzintervention ist, bezogen auf al e Aspekte der Alkoholkrankheit
auch nach 12-24 Monaten noch messbar. Der Alkoholkonsum wird durchschnittlich um 41 g/Woche reduziert. Die Wirksamkeit ist besser bei Männern als bei Frauen.: Cochrane Database Syst Rev. 2007 Apr 18;(2):CD004148 FRAMES- Prinzip:
Mehrere Studien haben gezeigt, dass ein konfrontatorischer Approach
(„Beschuldigung“) kontraproduktiv ist
Widerstände gehören zum Wesen der Alkoholkrankheit. Der Erfolg des „Rol with
the resistance“-Prinzips führte zur Formulierung sogenannten FRAMES-Konzept
FRAMES beschreibt eine Haltung des Arztes und legt den Grundstein für eine
erfolgreiche Behandlung. Nach diesem Prinzip operieren auch die Fachleute im Umgang mit Alkoholkranken.
Beispiel F (Feedback) R (Responsibility)
„Nur Sie können letzlich entscheiden, ob Sie
für die nächsten 2 Monate keinen Alkohol mehr trinken wol en, um zu sehen, ob sich dadurch die Werte verbessern“
A (Advice)
Ausdrücklicher Rat den „Ja, ich rate Ihnen, ab jetzt keinen Alkohol Alkoholkonsum zu
M (Menu of Options) Therapiemöglichkeiten „Sol te dies nicht ohne Weiteres möglich sein,
gibt es die Möglichkeit einer ambulanten Beratung oder von Medikamenten“
E (Empathy
„Ich kann mir vorstel en, dass dies für Sie
nicht ganz einfach sein wird, da Sie mir
entspannen. Ich mache mir Sorgen wegen der grossen Belastungen, denen Sie ausgesetzt sind“
S (Self-Efficacy)
„Im Anbetracht der ganzen Schwierigkeiten
bin ich überzeugt, dass Sie das schaffen
werden. Ich bin froh, dass Sie dieses Problem anpacken“
4.3.3 Aerztlicher Rat
Dieser Rat sol denjenigen Patienten erteilt werden, die sich nach der gesundheits-fördernden Wirkung von Alkohol erkundigen, oder wissen wol en, wieviel Alkohol „nichts macht“. „Alkohol ist ein ungefährliches Genussmittel, wenn man nicht mehr als 2 alkoholische Drinks (spezifizieren, was ein Drink ist) pro Tag konsumiert und an 2 Tagen pro Woche den Alkohol ganz weglassen kann. In diesen Mengen kann Rotwein bei Männern eine gesundheitsfördernde Wirkung haben (Reduktion von Herzinfarkten und Schlaganfal ). Ich rate zu Alkoholabstinenz in einer Schwangerschaft, bei Schwangerschaftswunsch; beim Führen von Maschinen und Fahrzeugen, bei gewissen Lebererkrankungen, bei Medikamenten mit bekannten Interaktionen (z.B. Metronidazol)“.
4.3.4. Medikamentöse Therapie der Alkoholabhängigkeit
In der Schweiz vorläufig nur 2 Substanzen zugelassen: Anticraving: Acamprosat
(Campral®) Aversivum: Disulfiram (Antabus®)
Neuere Substanzen mit Anticraving-Effekt: Naltrexon (Opiatantagonist, Nemexin®)
sind in den USA und EU für die Indikation 'Alkohol' zugelassen, auch in Depot-Form (z.B. 1x/Mt). Off-label Use im Spital prinzipiel möglich. Ambulant Problem der Kostenübernahme durch die Krankenkasse.
Substanzen in Prüfung: Ondansetron (5-HT3-Antagonist, Zofran®), die
Antiepileptika Carbamazepin (Tegretol®), Topiramat (GABA-Agonist, Topamax®), und Tiaprid (Dopaminantagonist, Tiapridal®)
Anticraving: Acamprosat (Campral®)
Indikation: Aufrechterhaltung der Abstinenz nach erfolgtem Entzug, kombiniert mit
anderen therapeutischen Massnahmen (ambulante Beratung, Medikamente)
Effekt: Reduktion von Craving. Abstinenz nach 1 Jahr 18.3 vs. 7.1% (Placebo) Nebenwirkungsprofil: Sehr günstig: Durchfäl e in 10%, andere NW sind selten.
Keine Interaktionen, keine Abhängigkeit, keine andere psychotrope Wirkung
Kontrainidikation: Niereninsuffizienz, dekompensierte Leberzirrhose (Child-Pugh-
Turcotte B, ≥ 7 Punkte), Schwangerschaft, Stil zeit
Dosierung: 3 x 2 Tabletten à 300 mg für 6-12 Monate Therapiebeginn nach Entgiftung und in einer Phase hoher Motivation
Andere Anti-Cravingsubstanzen
100 mg/d während 16 Wochen + Suchttherapie
Signifikant weniger „heavy drinking days“
Abstinenztage: 70% vs. 50%, durchschnittlicher Konsum 1.56 vs. 3.3 Drinks pro Tag
Carbamazepin Glutamat-Antagonist, Antiepileptikum
600-800 mg initial, dann Reduktion auf 200 mg 2002 May;17(5):349-während Alkoholentzug
25 mh initial, Steigerung auf 300 mg/d während 1-1651. 14 Wochen. Halbierung der „heavy drinking days“ (81% → 40%) Abstinenz > 28 Tage: 15% vs. 3%
Abstinenz 70% vs. 12%. Abstinenzdauer 68 vs 30 Tage
Aversiva: Antabus, s. Anhang 3
4.3.5. Psychosoziale Interventionen durch den PDA Suchterkrankungen betreffen in starkem Masse das soziale Umfeld des Patienten. Im Psychiatrischen Dienst für Abhängigkeitserkrankungen (PDA) werden die Patienten einem Sozialarbeiter mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung zugeteilt. Diese Bezugspersonen sind mit der Dynamik einer Suchtentstehung und dem Sozialhilfesystem der jeweiligen Gemeinden (Wohnort des Pat.) vertraut. Sie beraten und unterstützen die Patienten bei Problemen betreffend Arbeitsplatz, Wohnen oder Finanzen. Wo dies zweckmässig erscheint, wird die Familie in die Beratung einbezogen. Die Art der Therapie richtet sich nach den Erfordernissen des Patienten und den verfügbaren Behandlungstechniken der Bezugspersonen. Fal s eine psychiatrische Diagnostik, Intervention und Medikation notwendig ist, wird ein Arzt zum Gespräch und in die Behandlungsplanung einbezogen. Fal s eine stationäre Therapie zur Diskussion steht, evaluieren die Bezugspersonen mit den Patienten die in Frage kommenden Angebote, und begleiten die Patienten bei Bedarf zu einem Vorstel ungsgespräch. Die Indikationsstel ung erfolgt durch die Leitende Aerztin PDA. Stationäre Therapien werden empfohlen bei fehlendem psychosozialem Netz, mehrfachen erfolglosen ambulanten Entzugsbehandlungen mit ambulanten Nachfolgetherapien, sozialer Desintegration (Wohnen, Arbeit, Umfeld) und einem indizierten Milieuwechsel. Anhang 1: Alkoholkrankheit und psychiatrische Komorbidität Die häufigsten Komorbiditäten sind 1. Affektive Störungen, d.h. unipolare und bipolare Depressionen 2. Angststörungen 3. Persönlichkeitsstörungen Affektive Störungen
Aetiologiemodel e vermuten eine Auslösung der einen durch die andere Störung, evtl. eine gemeinsame genetische Disposition. Das Vorhandensein einer Störung erhöht das Auftreten der anderen Störung um das zwei-bis dreifache. Alkoholismus scheint in vergleichbarer Häufigkeit sowohl einer depressiven Störung vorauszugehen, als auch dieser zeitlich nachzufolgen. Alkoholismus erhöht das Risiko und die Schwere der Depression. Dabei bestehen die stärksten Korrelationen zwischen bipolaren Störungen (= manisch-depressiver Erkrankung) und Alkoholkrankheit. Die Komorbidität bei depressiven, psychosexuellen und Angststörungen sind bei Frauen ausgeprägter als bei Männern. Diagnostische Beurteilung Die Beurteilung während und nach der Alkoholentgiftung ist relevant. In der Regel kann eine komorbide Depression erst nach einer 4- bis 5-wöchigen Alkoholabstinenz gestel t werden. Medikamentöse Behandlung
Medikamente der ersten Wahl: SSRI und andere moderne Antidepressiva (z.B.
Venlafaxin(Efexor®), Duloxetin(Cymbalta®), Mirtazapin(Remeron®), Reboxetin (Edronax®)
Beachte:Pharmakokinetik, aktive Metaboliten, Proteinbindungskapazität, Interaktionen mit
Nebenwirkungen der Antidepressiva auf, z.B. Tremor, Schlafstörungen, Störungen der Impulswahrnehmung (Jitter-Effekt).
Cave dekompensierte Leberzirrhose. Verringerte intestinale Absorption, beeinträchtigte
Metabolisierung (Glucuronidierung bleibt lange intakt). Virale Hepatitiden und alkoholische
Hypalbuminämie = verminderte Plasmaproteinbindung, Aszites: vergrössertes Verteilungsvolumen. Portale Hypertonie: verringerter first-pass Effekt.
Generell Deshalb Fluoxetin/Paroxetin/Venlafaxin/Mirtazapin: Wirkzeit verlängert, deshalb
Tagesdosen halbieren oder Einnahme jeden 2. Tag.
Trizyklika (Trimipramin, Amitryptilin): Plasmaspiegel durch verschiedene Effekte erhöht,
Diese Substanzen können und sol en mit Aversiva/Anticraving-Medikamenten kombiniert
2. Angststörungen Aehnliche Interdependenz wie bei depressiven Erkrankungen, wobei die Angststörung häufig früher als die Alkoholkrankheit auftritt. Der Konsum bestimmter Suchtmittel (Alkohol, Benzodiazepine) verringert kurzfristig Stress- oder Angstzustände und Angstsymptome. Daraus resultiert eine negative Verstärkung durch Erwartungen an das Suchtmittel (Selbstmedikationshypothese), was wiederum zu anhaltenden Suchtmittelkonsum führt. Anhaltender und starker Suchtmittelkonsum wiederum führt direkt zum Auftreten neuer Angstzustände oder zur Verstärkung bestehender Angstsymptome.
Langfristig kann es nicht nur zur Entwicklung einer Abhängigkeit, sondern auch zur Verstärkung oder Aufrechterhaltung bestehender Angstsymptome kommen, die wiederum mit Suchtmitteln bekämpft werden. Akute Intoxikation oder akuter Entzug kann bei Alkohol- und Benzodiazepinmissbrauch zudem vorübergehende Angstsymptome auslösen, die erst
nach 2 bis 4 Wochen abklingen: Teufelskreismodell.
Medikamentöse Behandlung
Medikamente der ersten Wahl: SSRI und andere moderne Antidepressiva, z.B.
Venlafaxin(Efexor®), Duloxetin(Cymbalta®), Mirtazapin(Remeron®), Reboxetin (Edronax®).
Vor der Verschreibung von Bezodiazepinen als Langzeitbehandlung muss eindringlich gewarnt werden, da sich gerade bei Patienten mit dieser Komorbidität sehr schnell eine Toleranzbildung gegenüber diesen Substanzen zeigt, d.h. dass immer höhere Dosen für die gleiche Wirkung gebraucht werden Psychotherapie
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapie erfolgreichster Ansatz
3. Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeitsstörungen (PS) werden nach ICD-10 definiert als tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Dabei findet man bei Personen mit PS gegenüber einer „Normalpopulation“ deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in Beziehungen zu anderen. Häufig gehen sie mit persönlichem Leiden und gestörter sozialer Funktions- und Leistungsfähigkeit einher. Sie beginnen im Erwachsenenalter und beruhen nicht auf einer anderen psychischen Störung oder einer Hirnerkrankung. Die Komorbiditätsforschung hat sich bis heute v.a. mit zwei Arten von Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsstörung (BPS). Bei der APS geht man von einer sechsfach erhöhten Lebenszeitprävalenz von Alkoholkrankheiten im Vergleich zu einer gesunden Bevölkerung aus. Bei der Borderline Persönlichkeitsstörung ist die Prävalenz einer begleitenden Alkoholkrankheit 48,8%: Das Fehlen einer Substanzstörung wird bisweilen als Hinweis
gewertet, dass keine dieser Persönlichkeitsstörungen vorliegt. Medikamentöse Behandlung
nur symptomatischer Ansatz Niederpotente Neurolopetika Chlorprothixen (Truxal®), Clotiapin (Entumin®), Pipamperon
Niedrig dosierte, hochpotente sedierend wirkende atypische Neuroleptika: Quetiapin
(Seroquel®), Risperidon (Risperdal®), Amisulprid(Solian®)
Vermeiden/Minimieren von Benzodiazepinen: Hoher Angstpegel erfordert hohe Dosen mit
4. Stellung der Selbsthilfegruppen in der Suchtbehandlung
Die AA (Anonymen Alkoholiker) waren lange Zeit das einzige ambulante Suchthilfesystem in Europa und. Die AA veröffentlichten eigene Studien, die von einer Erfolgsquote von 75% berichteten.Die Ideologie der AA kann dazu führen, dass Problemtrinker, denen die Angliederung nicht gelingt, schlechtere Aussichten haben als diejenigen, die keinen Kontakt mit AA hattem. Bei absolutem Abstinenzgebot wird ein Rückfal als Charakterschwäche und Versagen gewertet. Die wissenschaftliche Evidenz lässt z.Zt. keine Schlüsse über die Wirksamkeit der AA zu (Cochrane Database Syst Rev. 2006 Jul 19;3:CD005032, Subst Use Misuse. 1999 Nov;34(13):1897-916. Anhang 2:Forensische Aspekte der Alkoholkrankheit In forensischer Hinsicht stehen zwei Aspekte im Vordergrund:
1. Die Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit durch Alkohol 2. Die Häufung von Gewalt im Zusammenhang mit Alkoholkonsum, wobei hier die
3. Ist die fürsorgerische Freiheitsentziehung (gesetzlicher Fachausdruck,
umgangssprachlich „FFE“) sinnvol im Zusammenhang mit Alkoholerkrankungen?
Wegen der grossen Bedeutung für die Betroffenen und die Gesel schaft hat der Gesetzgeber spezielle gesetzliche Regelungen getroffen, welche die Ärzteschaft kennen muss. 1. Alkohol und Strassenverkehr
Ist die Fahrtauglichkeit aus medizinischer Sicht in Frage gestel t, ist es Pflicht der Ärzteschaft, die Betroffenen darauf aufmerksam zu machen. Diese Situation kann auch benutzt werden, die Motivation beim Betroffenen zu fördern, den Alkoholkonsum zu reduzieren, resp. einzustel en. Dabei kann es hilfreich sein, die Betroffenen darauf hinzuweisen, dass wir als Ärztinnen, resp. Ärzte die Möglichkeit haben, auch gegen deren Wil en der zuständigen Behörde Meldung zu erstatten. Der entsprechende Paragraph im Strassenverkehrsgesetz (§14, Abs. 4) lautet: Jeder Arzt kann Personen, die wegen körperlicher oder geistiger Krankheit oder Gebrechen oder wegen Süchten zur sicheren Führung von Motorfahrzeigen nicht fähig sind, der Aufsichtsbehörde für Ärzte und der für die Erteilung und Entzug des Führerausweises zuständigen Behörde melden. (Abklärungskriterien in Alkohol-Konsil) Im Kanton Basel and erfolgt die entsprechende Meldung an:
Polizei Basel-Landschaft Verkehrsabteilung/Administrativverfahren
Alkohol und (häusliche) Gewalt Der Zusammenhang von Alkohol und Gewalt, insbesondere häuslicher Gewalt, ist gut belegt. Wegen der enormen Bedeutung für Betroffene und Gesel schaft ist der Gesetzgeber auch in diesem Bereich aktiv geworden:
2004 wurden die meisten Delikte mit häuslicher Gewalt zu Offizialdelikten erklärt. Im Kanton BL hat die Polizei die Möglichkeit, Täter aus der Wohnung wegzuweisen.
Die Ärzteschaft sol im Zusammenhang mit Alkohol daran zu denken, dass Gewalt häufig ist. Gewaltanwendung sol te konkret erfragt werden. Ergeben sich Hinweise auf häusliche Gewalt, so sind zweckmässige Schritte einzuleiten: Dabei sol te in erster Linie mit den Betroffenen nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden: Ambulante Betreuung, Erarbeiten eines Krisenplanes, Hospitalisation etc., wobei die Sicherheitsbedürfnisse der Betroffenen erste Priorität haben.
Als Ärzte haben wir in dieser Situation auch die Möglichkeit, bei den Untersuchungsbehörden eine Meldung zu erstatten. Der Gesetzgeber hat für diese Situation das Arztgeheimnis aufgehoben. Der entsprechende Text im Gesundheitsgesetz des Kantons Basel-Landschaft (§16 Schweigepflicht) lautet: 1. Die Medizinalperson hat über Wahrnehmungen, die ihr in ihrer beruflichen Eigenschaft bekannt
2. Sie ist von der Schweigepflicht befreit:
a bei Einwilligung des Berechtigten b bei schriftlicher Bewilligung der Sanitätsdirektion als Aufsichtsbehörde im
321, Ziffer 2, StGB c gegenüber der Strafverfolgungsbehörde in Bezug auf Wahrnehmungen, die
Verbrechen oder Vergehen gegen Leib und Leben,die öffentliche Gesundheit oder die Sittlichkeit schliessen lassen.
Im Verdachtsfal anzusprechen im Alkohol-Konsil
3. Alkohol und Fürsorgerische Freiheitsentziehung „FFE“
Bei alkoholbedingten Erkrankungen, insbesondere bei häufigen Rückfäl en und Selbstgefährdung (z.B. bei Patienten mit Leberzirrhose), taucht immer wieder die Forderung nach einer FFE auf. Diese ist aber in der Regel kein geeignetes Instrument, um den längeren Verlauf nachhaltig zu beeinflussen. Im Fal e akuter Selbst- und Fremdgefährdung kann ein FFE aber durchaus sinnvoll sein.
Anhang 3 Aversiva: Disulfiram (ANTABUS®)
Günstiges Patientenprofil: zuverlässiger, motivierter Patient mit guten sozialen Strukturen. Wirkmechanismus Disulfiram blockiert selektiv die Aldehyddehydrogenase (ALDH) in der Leber: es kommt also
zu einer Azetaldehydvergiftung Azetaldehydsyndrom
Gesichtsrötung, Palpitationen, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöen, Atemnot, thorakale
Beklemmung, Blutdruckanstieg und Blutdruckabfal , Schwindel, Kopfschmerz.
Die Reaktion setzt meist innert 5-10 Minuten nach Alkohol-Einnahme ein und dauert, bis
das Azetaldehyd ausgeschieden ist (bis zu mehreren Stunden).
Nicht al e Patienten erleiden ein Azetaldehydsyndrom nach Alkoholkonsum Die Alkohol-Antabus-Reaktion kann bis 2 Wochen nach Absetzen von Disufiram anhalten Azetaldehydsyndrom kann durch sehr geringe Mengen von Alkohol bewirkt werden (z.B.
After-Shave oder alkoholhaltige Schokolade)
Dosierung
2 Dispergetten à 400 mg täglich während 3 Tagen danach 1/2 Dispergette à 400 mg /Tag oder 1 Dispergette jeden 2. Tag Vor Therapiebeginn Alkoholkarenz von mindestens 5 Tagen Die Medikation sol te vom Arzt (Hausarzt, Werksarzt) oder Betreuungspersonen/
Pflegepersonal unter Aufsicht ausgegeben werden. Disulfiram sol te dem Patienten nicht mitgegebenwerden.
Substanzeigene Nebenwirkungen
Müdigkeit, unangenehmer Mund- oder Körpergeruch, Blutdruckabfal , Kopfschmerzen,
diffuse Oberbauchbeschwerden (10% der Patienten).
Andere NW: Selten: Anstieg von Transaminasen , Obstipation oder Diarrhoe,
Polyneuropathien, Psychosen; Sehr selten: schwere Ataxien und Dysarthrien (letztere Nebenwirkungen Zeichen der Überdosierung); in Einzelfäl en: Laktatazidose
Kontraindikationen
Aktive Hepatopathie (Transaminasen > 3x der oberen Normgrenze),: dekompensierte
Persistierender Alkoholkonsum Zerebrale Durchblutungsstörungen , schwere koronare Herzkrankheit Schwangerschaft (teratogen!) und Stil zeit (?) Psychose, Depression, Epilepsie, Schwere Polyneuropathie Medikamente mit Interaktionspotential (Metronidazol, Phenytoin, INH) Cave: Verstärkung der Wirkung von: OAK, Phenytoin, Benzodiazepinen
Überdosierung
Antihistaminika evtl. künstliche Beatmung, Schockbehandlung (Volumen, Vasoaktiva) Epilepsie: Valium, schwere Tachykardien (ohne Schock) : Betablocker
Trinkversuch
Wirkung nicht belegt Gilt psychotherapeutisch als „sadistische Intervention“ und ist deshalb unethisch Problem der Gefährdung durch Alkohol unter Disulfiramwirkung bleibt auch nach
Wird in den Spitälern des Kantons BL nicht mehr durchgeführt
Anhang 4: AUDIT-FragebogenD
Liebe Patientin, lieber Patient Alkohol kann zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen führen. Wir befragen unsere Patientinnen und Patienten regelmässig nach ihren Trinkgewohnheiten und Erfahrungen mit alkoholischen Getränken. Die von Ihnen gemachten Angaben unterstehen der ärztlichen Schweigepflicht. Beachten Sie, dass in diesem Fragebogen mit dem Begriff „Glas“ ein kleines Bier (2.5 dl), 1 dl Wein, 7 cl Aperitiv/Portwein, oder 3 cl Whisky /Schnaps gemeint ist. Bitte beantworten Sie die Fragen so genau wie möglich, da Sie uns hilft, al fäl ige Probleme gesundheitliche Probleme oder Einflüsse auf Ihre Behandlung rechtzeitig zu erkennen. AUDIT-Fragebogen
Sie am Abend vorher ein paar Gläser zu viel zu sich genommen hatten?
10 Hat Ihnen ein Verwandter, Freund Nie Ja, aber
Auswertung AUDIT-Fragebogen
AUDIT erlaubt eine Stratifizierung nach Wahrscheinlichkeit einer manifesten
alkoholbedingten Störung und Risiko eines zukünftigen Gesundheitsschadens
0-7 Punkte: minimales Risiko, keine Intervention notwendig, al enfal s „ärztlicher Rat“ wie
8-15 Punkte: sog. „Risikotrinker“. Hier entscheidet sich im Alkoholkonsil, ob dieses Risiko
>16 Punkte: Hohes Risiko. Diese Patienten erfül en in der Regel die Diagnose eines
Alkoholabusus. In der Regel erfolgt während des Alkoholkonsils eine Kurzintervention. Folgeberatungen/Monitoring durch Suchtberater oder Hausarzt sind zu antizipieren.
AUDIT ergibt keine Diagnose. Fragen 1-3: Risiko aufgrund der Trinkmenge und des Trinkverhaltens Fragen 4-6: Wahrscheinlichkeit einer Alkoholanhängigkeit Fragen 7-10: Wahrscheinlichkeite einer manifesten gesundheitlichen Schädigung Anhang 5 Adressen / Kontaktmöglichkeiten
Anmeldung für ambulante Wiedenhubstrasse 55
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